1. Eine Entgeltabrechnung gem. § 108 Abs. 1 S. 1 GewO kann auch in Textform nach § 126b BGB erfolgen.
2. Eine in Textform erteilte Entgeltabrechnung geht dem Arbeitnehmer aber nur dann im digitalen Mitarbeiterpostfach im Sinne von § 130 BGB zu, wenn er hierzu sein Einverständnis gegeben hat. Anderenfalls muss er nicht damit rechnen, dass ihm die Entgeltabrechnungen im digitalen Weg übermittelt werden.
3.Die fehlende Einwilligung kann mangels Mitbestimmungsrecht nicht durch eine (Konzern-) Betriebsvereinbarung ersetzt werden. (amtl. Leitsätze)
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Erteilung von Entgeltabrechnungen. Die Klägerin arbeitet als Verkäuferin bei der Beklagten. Es besteht eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung eines Mitarbeiterpostfachs im Rahmen eines Cloud-Service. Dort ist geregelt, dass zukünftig alle Personaldokumente den Beschäftigten über ein von einem externen Anbieter betriebenen digitalen Postfach zugestellt werden. Die Log-in-Daten werden vom Anbieter zur Verfügung gestellt, der Zugang erfolgt über jeden vom Beschäftigten gewünschten Browser. Die Beklagte ermöglicht zudem allen Beschäftigten im Betrieb den Zugriff über dort zur Verfügung gestellte PCs. Es ist ferner vereinbart, dass die Entgeltabrechnungen ausschließlich im Postfach hinterlegt werden. Zur Hinterlegung weiterer Dokumente ist die Zustimmung der Beschäftigten erforderlich. Die Klägerin widersprach zwei Mal der Erteilung der Abrechnung über das elektronische Postfach. Nachdem die Beklagte nach Ablauf der Übergangsfrist die Abrechnung ausschließlich über das Postfach zustellte, erhob die Klägerin Klage auf Erteilung der Abrechnung für mehrere Monate. Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abwies, hatte die Klägerin nun vor dem LAG Erfolg.
Entscheidung
Das LAG führt aus, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Entgeltabrechnung in Papierform gem. § 108 I 1 GewO habe, da das Einstellen der Entgeltabrechnung in das digitale Mitarbeiterpostfach über einen Cloud-Service nicht zur Erfüllung des Erteilungsanspruchs gem. § 362 I BGB führe. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, Entgeltabrechnungen in Textform gem. § 126b BGB zu erteilen, deren Voraussetzungen vorliegend erfüllt seien. Jedoch seien hier die Voraussetzungen des Zugangs der einseitigen Willenserklärung der Beklagten, nämlich das Entgelt in der abgerechneten Höhe auszuzahlen, gem. § 130 BGB nicht erfüllt. Bei einem Zugang derartiger Willenserklärungen in Textform, die eine solche unter Abwesenden sei, müsse nämlich der Zugang auf eine Empfangsvorrichtung erfolgen, die die Empfängerin, hier die Klägerin, bestimmt oder aber durch (ggf. auch konkludente) Zustimmung akzeptiert habe. Anderenfalls müsse die Empfängerin nicht mit dem Zugang von Erklärungen rechnen. § 108 GewO könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Zugang der Abrechnungen in Textform schon dann bewilligt werde, wenn dieses in ein vom Erklärenden eingerichtetes Postfach hinterlegt werde. Dies ergebe sich aus einem Vergleich von Regelungen zu anderen, vergleichbaren Vertragsverhältnissen aus dem Verbraucherrecht, beispielsweise in §§ 312c, 355 BGB, also sog. Fernabsatzverträgen. Vorliegend könne aber auch die Konzernbetriebsvereinbarung die fehlende Zustimmung der Klägerin, die diese durch ihre Widersprüche deutlich zum Ausdruck gebracht habe, nicht ersetzen. Denn dem Konzernbetriebsrat stehe in Bezug auf die Erteilung der Entgeltabrechnung kein Mitbestimmungsrecht zu. § 87 I Nr. 4 BetrVG beziehe sich ausschließlich auf die Auszahlung der Arbeitsentgelte und gerade nicht auf deren Abrechnung. Zwar können Betriebsparteien über bestehende Mitbestimmungsrechte hinaus Betriebsvereinbarungen schließen. Dabei dürfen sie jedoch nicht über die Grenzen ihrer Regelungsmacht hinausgehen. Diese Grenzen liegen dort, wo in die Rechtspositionen der Beschäftigten eingegriffen werde. Beruhen diese Positionen auf einem Gesetz, wie hier auf § 108 GewO, verbiete sich ein Eingriff durch Konzernbetriebsvereinbarung wegen des Vorrangs höherrangigen Rechts. Das LAG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zugelassen.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist richtig und zu begrüßen. Sie macht deutlich, dass die Arbeitgeber nicht einseitig die Erfüllung ihrer Pflichten auf Beschäftigte abwälzen können, auch nicht mit der Zustimmung der Betriebsräte. Auch in Zeiten zunehmender Digitalisierung des Alltags darf nicht einfach davon ausgegangen werden, dass alle Beschäftigten ausschließlich digitale Unterlagen erhalten wollen oder können. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG dem zustimmt
(Quelle: ArbRAktuell 2024, 233, beck-online)