Wenn ein tarifgebundener Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag den bei ihm geltenden Tarifvertrag mit einer uneingeschränkten Bezugn. ahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezieht, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach den entsprechenden tariflichen Regelungen gestaltet werden soll. (Amtlicher Leitsatz)
I. Sachverhalt
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1.1.1989 auf Basis des schriftlichen Formulararbeitsvertrags vom 10.11.1988 zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt durchschnittlich 4.933.55 EUR beschäftigt. Der Arbeitsvertrag sieht u. a. in Ziff. 3 bis 5 vor, dass „die Rechte und Pflichten des Mitarbeiters sich aus den jeweils gültigen Tarifverträgen ergeben“ und im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit eine „Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 03 erfolgt“. Nach Ziff. 4 „belaufen sich entsprechend der in Ziff. 3 vorgenommenen Eingruppierung die monatlichen Bezüge auf eine Gesamtvergütung von 2.250,- DM“. Nach Ziff. 5 wurden „die Bezüge 13 mal jährlich bargeldlos gezahlt“.
Die Beklagte ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Luftverkehr (AGVL). Sie war in den Jahren 2020/2021 an den MTV Nr. 14 für das Bodenpersonal („MTV Nr. 14 Boden“) gebunden und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags im Jahr 1988 an dessen Vorgänger (MTV Nr. 13 Boden). Beide Tarifverträge enthalten nahezu wortgleich jeweils in § 26 eine Regelung zur bargeldlosen Zahlung der „feststehenden monatlichen Vergütungsbestandteile“, jeweils zum 27. eines Monats. Weiter sehen sie als „Sozialbezüge“ in § 30 ein jährliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld i. H. v. je ½ Grundvergütung zuzüglich bestimmter Zulagen vor. Nach § 30 IV MTV Nr. 14 Boden wird das Urlaubsgeld mit der Mai-Vergütung und das Weihnachtsgeld mit der November-Vergütung ausgezahlt. Unter dem 16.12.2020 schloss die Beklagte als Mitglied des AGVL mit ver.di einen Tarifvertrag zur Bewältigung des Corona-Krisenfalls für das Bodenpersonal („TV Corona-Krise“). Dieser sah vom 10.11.2020 bis zum 31.12.2021 in § 4 I vor, „dass kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld gem. § 30 MTV Nr. 14 Boden gezahlt wird.“
Der Kläger hat gemeint, er könne jährlich einen 13. Monatsbezug beanspruchen. Demzufolge hat er zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn jeweils 2.177,42 EUR brutto nebst Zinsen seit dem 28.11.2020, 28.5.2021 und 28.11.2021 zu zahlen. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos.
II. Entscheidung
Nach Ansicht des Senats sei die vom LAG zugelassene Revision hinsichtlich des behaupteten eigenständigen vertraglichen Anspruchs auf ein 13. Monatsgehalt unbegründet. Für die Auslegung des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 komme es darauf an, wie die Klausel nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Bleibe nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, gehe dies gem. § 305c II zu Lasten des Verwenders. Die Anwendung dieser Unklarheitenregel setze allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lasse und von diesen keines den klaren Vorzug verdiene. Davon ausgehend hätten die Vorinstanzen die vertragliche Vereinbarung richtig ausgelegt. Ziff. 5 des Arbeitsvertrags vom 10.11.1988 begründe – auch in der Zusammenschau mit Ziff. 4 – keinen vertraglichen Anspruch gem. § 611a II BGB auf einen 13. monatlichen Bezug. Ebenso wenig garantiere diese Regelung die Zahlung der tariflichen Sozialbezüge – Urlaubs- und Weihnachtsgeld – unabhängig vom jeweiligen Inhalt der entsprechenden tariflichen Regelungen. Ziehe man die Systematik der vertraglichen Regelungen und das Gesamtbild des Vertrages heran, werde hinreichend deutlich, dass das Arbeitsverhältnis insgesamt den tariflichen Regelungen dynamisch unterworfen werden sollte. Ziff. 5 stelle lediglich eine deklaratorische Bestimmung zu den Zahlungsmodalitäten und eine Information zur Gesamtvergütung unter Geltung der damaligen tariflichen Regelungen dar. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass diese konstitutiv gelten sollte und insoweit tarifliche Regelungen – seien sie günstiger oder ungünstiger – keine Anwendung finden sollten, gäbe es nicht.
III. Praxishinweis
Die Entscheidung überzeugt in jeder Hinsicht. Ziff. 5 des Arbeitsvertrags kann nur im Zusammenhang mit Ziff. 3 und 4 des Arbeitsvertrags gesehen werden. Danach stellt Ziff. 5 lediglich eine deklaratorische Bestimmung zu den Zahlungsmodalitäten und eine Information zur Gesamtvergütung unter Geltung der damaligen tariflichen Regelungen dar. Die Regelungen sind alles andere als mehrdeutig i. S. v. § 305c II BGB.
Quelle: ArbRAktuell 2023, 570, beck-online