Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Auskunftsverlangens nach Art. 15 I DSGV

1. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nicht dadurch erschüttert, dass die Arbeitnehmerin am letzten Tag ihrer Erkrankung am Reitstall angetroffen wird.

2. Alleine die Tatsache, dass der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen der (ehemaligen) Arbeitnehmerin nach Art. 15 I DSGVO nicht innerhalb der Frist des Art. 12 III DSGVO nachkommt, begründet einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 I DSGVO, ohne, dass es darauf ankommt, ob ein „konkreter“ Schaden nachgewiesen wird. Dass insoweit kein Schaden in Rede steht, der aus der Verarbeitung von Daten resultiert, steht dem Schadensersatzanspruchsersatzanspruch nicht entgegen.

3. Das Ausmaß des Verschuldens des Arbeitgebers ist bei der Höhe des nach § 287 Absatz I 2 ZPO zu schätzenden Schadenersatzanspruchs zu berücksichtigen (amtliche Leitsätze)

I. Sachverhalt

Der Beklagte, der einen Kleinbetrieb unterhielt, kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht, weil sich die Klägerin am letzten Tag der attestierten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in einem Reitstall aufgehalten habe. Die Klägerin wandte sich gegen die außerordentliche Kündigung und machte einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 I DSGVO wegen Verletzung ihres Auskunftsanspruches nach Art. 15 I DSGVO geltend. Den Auskunftsanspruch hatte sie außergerichtlich geltend gemacht. Der Beklagte hatte keine Auskunft erteilt.

II. Entscheidung

Das LAG Hessen sah die außerordentliche Kündigung als unwirksam an. Der Aufenthalt an der frischen Luft erschüttere den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei einer attestierte Erkältungserkrankung nicht.

Das Gericht sprach der Klägerin 1.000 EUR als Schadensersatz zu. Ein außergerichtliches Auskunftsbegehren, das sich am Wortlaut des Art. 15 I DSGVO orientiere, sei ausreichend. Die Geltendmachung sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, auch wenn Verärgerung der Klägerin wegen der Kündigung ebenfalls ein Motiv gewesen sei. Erforderlich sei es für einen Schadensersatzanspruch nicht, dass eine Datenverarbeitung erfolgt sei, die der Verordnung zuwiderlaufe. Schließlich stehe dem Anspruch auch nicht entgegen, dass die Klägerin keinen konkreten Nachweis eines Schadens erbracht habe. Der Beklagte habe besonders schwer gegen Art. 15 I DSGVO verstoßen, weil er das Auskunftsbegehren auch im erstinstanzlichen Verfahrensverlauf vollständig ignoriert habe. Der Umstand, dass die Klägerin den Auskunftsanspruch nicht gerichtlich geltend gemacht habe, sei nicht zu ihren Lasten zu berücksichtigen.

III. Praxishinweis

Seit Inkrafttreten der DSGVO machen Arbeitnehmer in großem Umfang den Auskunftsanspruch gem. Art. 15 I DSGVO geltend und im Falle der Nichterteilung oder nicht ordnungsgemäßen Erteilung der Auskunft Schadensersatzansprüche gem. Art. 82 I DSGVO. Zahlreiche Fragen sind insoweit weiterhin nicht abschließend geklärt. Das vorliegende Urteil liegt aber auf der (klägerfreundlichen) vorherrschenden Linie der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach der geltend gemachte Schaden nicht auf einer rechtswidrigen Verarbeitung der Daten beruhen muss und auch keine konkrete Darlegung erforderlich ist. Weiteren Aufschluss wird insoweit erst die Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren bringen.

Eines kann man auf Basis der bisher ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen aber sagen: Der Versuch von Arbeitgebern, geltend gemachte Auskunftsansprüche einfach auszusitzen, ist untauglich

Quelle: ArbRAktuell 2023, 606, beck-online
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