Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen dem Kläger als Leiharbeitnehmer und der Beklagten als Entleiher ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Der Kläger ist seit 15.3.2017 bei seiner Vertragsarbeitgeberin als Kfz-Meister beschäftigt. Die Vertragsarbeitgeberin verfügt über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Nach dem Arbeitsvertrag ist der Kläger verpflichtet, auch bei einem Entleiher Arbeitstätigkeit zu erbringen. Am 3.5.2017 schloss der Kläger mit seiner Vertragsarbeitgeberin eine Zusatzvereinbarung über seine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten ab dem 11.5.2017. Gemäß der Zusatzvereinbarung wird der Kläger nach dem Tarifvertrag iGZ vergütet. Vom 11.5.2017 bis 30.4.2019 war der Kläger im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten als Entleiherin tätig. Die Beklagte ist Mitglied von Südwestmetall. In ihrem Unternehmen gilt der zwischen Südwestmetall und IG Metall geschlossene Tarifvertrag „Leih-/Zeitarbeit“. Nach diesem Tarifvertrag darf die Dauer einer Arbeitnehmerüberlassung 48 Monate nicht überschreiten. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt Mitglied der IG Metall.
Die Klage ist auf die Feststellung gerichtet, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten als Entleiherin aufgrund Überschreitung der gesetzlichen Höchstüberlassungsdauer kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei. ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG konnten Südwestmetall und IG Metall die Höchstüberlassungsdauer für den Einsatz von Leiharbeitnehmern bei der Beklagten durch Tarifvertrag mit Wirkung auch für den Kläger und dessen Arbeitgeberin (Verleiherin) verlängern. Bei der in § 1 I b 3 AÜG vorgesehenen Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer durch Tarifvertrag handele es sich um eine vom Gesetzgeber außerhalb des Tarifvertragsgesetzes vorgesehene Regelungsermächtigung, die es den Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche nicht nur gestatte, die Höchstüberlassungsdauer abweichend von § 1 I b 1 AÜG verbindlich für tarifgebundene Entleihunternehmen, sondern auch für Verleiher und Leiharbeitnehmer mittels Tarifvertrag zu regeln, ohne dass es auf deren Tarifgebundenheit ankomme. Dieser gesetzlichen Befugnis stehe Unionsrecht und Verfassungsrecht nicht entgegen. Nach Auffassung des BAG halte sich auch die von Südwestmetall und IG Metall vereinbarte Höchstüberlassungsdauer von 48 Monaten im Rahmen der gesetzlichen Regelungsbefugnis.
Praxishinweis
Bei dem bislang nur als Pressemitteilung vorliegenden Urteil (FD-ArbR 2022, 451469) handelt es sich um eine Grundsatzentscheidung zum Recht der Arbeitnehmerüberlassung. Unter demselben Datum hat der Senat in einer Parallelsache (4 AZR 26/21) über ein weiteres Revisionsverfahren gegen ein Urteil des LAG Baden-Württemberg entschieden und dort die Klage ebenfalls abgewiesen. Die beiden Revisionsverfahren sind interessant, weil die beiden Kammern des LAG Baden-Württemberg unterschiedlicher Auffassung über die dogmatische Einordnung der Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien zur Verlängerung der Höchstüberlassungsdauer waren. Streitig war zwischen den Kammern, ob es sich insoweit um eine tarifvertragliche Inhalts- oder Betriebsnorm handele. Der 9. Senat geht ausweislich der Pressemitteilung einen anderen Weg. Er sucht nicht eine Einordnung in die Kategorien des TVG, sondern sieht die Regelungsbefugnis nach § 1 I b AÜG als eigenständige Rechtssetzungsdelegation des Gesetzgebers an die Tarifvertragsparteien an. Den Weg für die unionsrechtliche Bewertung der Regelungsbefugnis hat in einem anderen Verfahren das LAG Berlin-Brandenburg geebnet, indem es Grundsatzfragen zur Verlängerung der Überlassungsdauer dem EuGH vorgelegt hat, der darüber mit Urteil vom 17.3.2022 entschieden hat (EuGH, ArbRAktuell 2022, 175).
Quelle:
ArbRAktuell 2022, 508, beck-online