I.                  Amtliche Leitsätze

1. Anstelle der Arbeitspflicht tritt bei einem freigestellten Betriebsratsmitglied die Verpflichtung, während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats (…) erforderliche Betriebsratsarbeit zu verrichten, bzw. anwesend zu sein um sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten (…). Mithin darf es grundsätzlich auch nur solche Zeiten im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung als Arbeitszeit dokumentieren. Entsprechendes gilt für die Zeiten, in denen das Betriebsratsmitglied aufgrund eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses außerhalb des Betriebs an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i. S. v. § 37 VI und VII BetrVG tatsächlich teilnimmt oder sich hierfür bereitgehalten hat.

2. Die Prüfung der Frage, ob eine Tätigkeit zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist, obliegt auch dem einzelnen Betriebsratsmitglied. Ihm steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. (…).

3. Mit dem Beschluss zur Entsendung zu einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung i. S. v. § 37 VI und VII BetrVG, für welche der Arbeitgeber die Kosten (…) übernimmt, konkretisiert der Betriebsrat die dem entsandten Mitglied obliegende Betriebsratstätigkeit für den fraglichen Zeitraum. (…) Für ein Verlassen der Veranstaltung und eine Verrichtung anderer Betriebsratsarbeit außerhalb des Betriebes und außerhalb des Veranstaltungsortes bedarf es gewichtiger Gründe.

4. Gibt das auf eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung i. S. v. § 37 VI und VII BetrVG entsandte Betriebsratsmitglied nachträglich im Rahmen betrieblicher Arbeitszeiterfassung bewusst Zeiten als Arbeitszeit an, von denen es weiß, dass es weder an der Schulungsveranstaltung teilgenommen hat, noch andere erforderliche Betriebsratstätigkeiten verrichtet hat, (…) kann die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch die Arbeitgeberin nach § 103 BetrVG zu ersetzen sein. (amtl. Leitsätze, gekürzt)

II.                   Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates zu einer beabsichtigten außerordentlichen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung. Am 8.11.2022 besuchten die Betriebsratsmitglieder gemeinsam den Betriebsrätetag und nahmen an diversen Vorträgen teil. Am 9.11.2022 sahen sich der Beteiligte zu 3. und die drei weiteren Betriebsratsmitglieder nicht. An dem Betriebsrätetag nahm der Beteiligte zu 3. an diesem Tag weder digital noch in Präsenz teil und befand sich nicht am Veranstaltungsort, sondern fuhr mit dem Zug in eine andere Stadt, wo er sich mit seiner geschiedenen Ehefrau traf und dort auch übernachtete. Am Morgen des 10.11.2022 begab sich der Beteiligte zu 3. sodann mit dem Zug wieder zum Veranstaltungsort, ohne indes den Betriebsrätetag noch einmal zu besuchen, sondern trat vom Hotel aus mit seinen Betriebsratskollegen die gemeinsame Rückfahrt an.

Mit Schreiben vom 24.11.2022 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3., mit der Begründung, dieser habe weder am 9.11. noch am 10.11.2022 am Betriebsrätetag teilgenommen, sondern stattdessen Sightseeing betrieben und seine ehemalige Lebensgefährtin besucht. Ferner habe er in den von ihm für den 9.11.2022 angegebenen Zeiten keine Betriebsratsarbeit geleistet, dies aber gleichwohl im Arbeitszeitnachweis angegeben und damit Arbeitszeitbetrug begangen. Jedenfalls bestehe der dringende Verdacht des vollständigen Fernbleibens ab dem 9.11.2022 sowie eines Arbeitszeitbetruges durch falsche Angaben in dem Arbeitszeitnachweis. Der Betriebsrat beschloss am 25.11.2022, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. nicht zu erteilen. Mit dem am 29.11.2022 bei dem ArbG eingegangenen Antrag hat die Arbeitgeberin die Ersetzung der verweigerten Zustimmung beantragt. Das ArbG hat sie auf Antrag der Arbeitgeberin ersetzt

III.                 Entscheidung

Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Betriebsrates und des Betriebsratsvorsitzenden hat das LAG zurückgewiesen. Nach Anhörung des Betriebsratsvorsitzenden und Vernehmung zweier Zeugen war die Kammer hinreichend von dem Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten, und davon, dass dieser aufgrund der Fallumstände eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, überzeugt.

IV.                Praxishinweis

Das Urteil ist richtig und vermag angesichts der erwiesenen Vorwürfe auch nicht zu überraschen. Überraschend sind allenfalls die ausführlichen amtlichen Leitsätze, die gleichwohl wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zu Fragen im Zusammenhang mit der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen hier (fast) ungekürzt abgedruckt werden

 

(ArbRAktuell 2024, 274, beck-online)