§ 4 IV 1 EFZG gestattet eine von den Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichende Regelung nur durch Tarifvertrag. Auf dem sog. Dritten Weg zustande gekommene Arbeitsvertragsrichtlinien sind von dieser Öffnungsklausel nicht erfasst. (amtl. Leitsatz)

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten als Anästhesiepfleger beschäftigt. Im Arbeitsvertrag wird auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR Caritas) Bezug genommen.

Der Kläger leistete monatlich mindestens zweimal Bereitschaftsdienst, wobei er sich stets für die Gewährung von Freizeitausgleich statt der Zahlung des Bereitschaftsdienstentgelts entschied. Der Kläger war an drei für den Bereitschaftsdienst vorgesehenen Tagen zwischen Januar 2020 und Mai 2021 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte schrieb dem Arbeitszeitkonto des Klägers für diese Bereitschaftsdienste keine Stunden gut. Sie zahlte ihm für die ausgefallenen Bereitschaftsdienste seine verstetigten Dienstbezüge sowie einen Aufschlag nach den Regelungen der AVR Caritas. Bei der Berechnung des Aufschlags berücksichtigte die Beklagte die in den letzten drei Monaten gezahlten Aufschläge und Zeitzuschläge sowie Rufbereitschafts- und Überstundenvergütungen, nicht jedoch die durch Freizeit ausgeglichenen Bereitschaftsdienste.

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Gutschrift der krankheitsbedingt ausgefallenen Bereitschaftsdienste auf dem Arbeitszeitkonto. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Bereitschaftsdienste in dem gezahlten Aufschlag nach den Regelungen der AVR Caritas enthalten seien. Soweit die AVR Caritas von den Vorgaben des EFZG abwichen, sei dies nach § 4 IV EFZG zulässig. Arbeitsvertragsrichtlinien seien Tarifverträge im Sinne der Norm.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen; das LAG Hamm hat ihr im Rahmen der Berufung des Klägers stattgegeben.

Entscheidung

Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Der Kläger habe einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die krankheitsbedingt nicht geleisteten Bereitschaftsdienste. Bei dem im Voraus im Dienstplan festgelegten Bereitschaftsdienst handele es sich um regelmäßige Arbeitszeit des Klägers i. S. d. § 4 I EFZG und nicht um wegen besonderer Umstände vorübergehend zusätzlich geleistete Überstunden i. S. d. § 4 I a EFZG. Wären die Bereitschaftsdienste nicht wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgefallen, hätte er hierfür das Bereitschaftsdienstentgelt erhalten.

Die AVR Caritas können von den Vorgaben des EFZG nicht abweichen. Die Öffnungsklausel des § 4 IV EFZG gelte nicht für die AVR Caritas. Die auf dem sog. Dritten Weg zustande gekommenen AVR seien keine Tarifverträge im Sinne der Öffnungsklausel. Neben dem ausdrücklich auf Tarifverträge Bezug nehmenden Wortlaut spreche dafür der Wille des Gesetzgebers. Wolle der Gesetzgeber Arbeitsvertragsrichtlinien der Kirchen berücksichtigen, so benenne er diese ausdrücklich im Gesetz, z. B. in § 7 IV ArbZG.

Die Beklagte sei auch nicht in ihrem verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht als kirchliche Einrichtung nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV beeinträchtigt. Die zwingenden Vorgaben des EFZG berührten weder das Selbstverständnis der Kirchen noch die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes.

Ob die Buchung des Bereitschaftsdienstentgelts als Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto möglich sei, könne jedoch mangels ausreichender Feststellungen zur Regelungsgrundlage des Arbeitszeitkontos nicht entschieden werden.

Praxishinweis

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Eine Abweichung von zwingendem Gesetzesrecht ist durch kirchliche AVR nur dann zulässig, wenn dies vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. In der Praxis wird daher jeweils zu prüfen sein, ob eine gesetzliche Öffnungsklausel eine Abweichung nicht nur für Tarifverträge, sondern auch für AVR zulässt. Ist dies nicht der Fall, sind entgegenstehende Regelungen in AVR unwirksam.

(Quelle: ArbRAktuell 2024, 116, beck-online)