ArbG Mannheim, Beschluss vom 28.6.2023 – 2 BV 2/23

Zustimmungsersetzung nach § 99 IV BetrVG bei der Neueinstellung einer Teilzeitkraft

1. Haben teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer lediglich den Wunsch nach einer Verlängerung ihrer Arbeitszeit angezeigt, begründet dies noch keine geschützte Rechtsposition i. S. d. § 99 II 2 Nr. 3 BetrVG.

2.Nur ein konkretes Vertragsänderungsangebot nach § 9 TzBfG bezogen auf einen bestimmten Arbeitsplatz kann Rechte des Arbeitnehmers nach § 9 TzBfG begründen. Der Antrag nach § 9 TzBfG muss letztlich so bestimmt sein, dass der Arbeitgeber nur noch mit „ja“ reagieren muss, damit es zur gewünschten Vertragsänderung kommt.

3. Schafft der Arbeitgeber für die gleiche Tätigkeit des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers einen weiteren Teilzeitarbeitsplatz, liegt ein freier Arbeitsplatz i. S. d. § 9 TzBfG vor und der Wunsch des Arbeitnehmers auf Erhöhung des Arbeitszeitumfangs ist ggf. zu berücksichtigen, indem beide Teilzeitarbeitsplätze zusammengefasst werden.

4. Ein Arbeitsplatz ist nur dann entsprechend i. S. d. § 9 TzBfG, wenn er mit dem Arbeitszeitwunsch des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers übereinstimmt. Ein Anspruch auf ganze oder teilweise Verteilung der Arbeitszeit eines zu besetzenden freien Arbeitsplatzes auf einen oder mehrere Teilzeitarbeitsplätze besteht regelmäßig nicht.

5. Ein entsprechender freier Arbeitsplatz i. S. d. § 9 TzBfG liegt grundsätzlich nur vor, wenn dieser auf Dauer, und nicht nur befristet besetzt werden soll. (amtl. Leitsätze)

 

Sachverhalt

Verschiedene in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer äußerten gegenüber dem Arbeitgeber den Wunsch nach Erhöhung ihrer Arbeitszeit. Dem entsprach er nicht. Den Betriebsrat unterrichtete er über die beabsichtigte Einstellung einer Arbeitnehmerin (monatlich 86 Stunden, befristet auf ein Jahr). Der Betriebsrat stimmte der Einstellung und der vorläufigen Durchführung unter Hinweis auf eine Benachteiligung bzw. Schlechterstellung der Arbeitnehmer, die eine Erhöhung ihrer Arbeitszeit wünschten, nicht zu.

Entscheidung

Das ArbG gab den Anträgen des Arbeitgebers auf Ersetzung der Zustimmung zur Einstellung und deren vorläufiger Durchführung, §§ 99 IV, 100 I BetrVG, statt. Es verneint die Voraussetzungen des § 99 II Nr. 3 BetrVG. Der Verlust einer Chance auf eine Veränderung stelle keinen Nachteil dar. Es müsse entweder ein Rechtsanspruch auf die erstrebte Veränderung bestanden oder sich zumindest eine tatsächliche Position zu einer rechtlich erheblichen Anwartschaft verstärkt haben. Eine i. S. v. § 99 II Nr. 3 BetrVG geschützte Rechtsposition folge aus § 9 TzBfG nicht bereits mit der Anzeige des Aufstockungswunsches. Die Anzeige löse zunächst nur die Pflichten des Arbeitgebers nach § 7 II TzBfG aus. Es sei zwischen einem konkreten Vertragsangebot nach § 9 TzBfG und nur der Anzeige nach § 7 II TzBfG zu differenzieren. Die Arbeitnehmer hätten auch kein Angebot auf Zusammenfassung ihres und des neuen Teilzeitarbeitsplatzes unterbreitet. Die mit 86 Stunden pro Monat zu besetzende Stelle entspreche zudem keiner der Arbeitszeitwünsche, weder die 86 Stunden für sich noch diese in Addition mit der bisherigen Arbeitszeit. Auch liege wegen der Befristung kein entsprechend freier Arbeitsplatz i. S. d. § 9 TzBfG vor. Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitgeber seine Organisationsfreiheit zur Umgehung des § 9 TzBfG ausgenutzt hatte, verneint das ArbG.

Die Beschwerde ist beim LAG Baden-Württemberg anhängig (19 TaBV 6/23).

Praxishinweis

Die gut begründete Entscheidung ist vertretbar. Sie zieht u. a. die Rspr. des BAG (z. B. BeckRS 2007, 40766 u. FD-ArbR 2007, 231472; ArbRAktuell 2016, 312; ArbRAktuell 2018, 280) heran. Danach hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber einzurichtende oder zu besetzende Arbeitsplätze nach den Arbeitszeitwünschen eines Arbeitnehmers schafft, zuschneidet oder ihm für einen anderen (Teilzeit-)Arbeitsplatz vorgesehene Arbeitszeit ganz oder teilweise zuteilt. Ein Verlängerungswunsch verpflichtet den Arbeitgeber nicht, einem Arbeitnehmer bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes einen Antrag auf Abschluss eines Arbeitsvertrages mit erhöhter Arbeitszeit zu unterbreiten. Verschiedene LAG (z. B. LAG Hessen, BeckRS 2017, 118961 m. w. N.) gehen zudem davon aus, dass im Falle einer nur befristeten Besetzung kein freier Arbeitsplatz i. S. d. § 9 TzBfG vorliegt (zweifelnd aunc BAG, ArbRAktuell 2016, 312).

 

(ArbRAktuell 2023, 478, beck-online)