Amtlicher Leitsatz: Eine Kündigung scheidet nach § 1 II KSchG aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers – wie etwa eine Abmahnung – geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken. Einer Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder die Pflichtverletzung so schwerwiegend ist, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und offensichtlich ist.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten, einer Kommune, seit rund 10 Jahren beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TVöD-K Anwendung. Wegen hoher Fehlzeiten forderte die Beklagte die Klägerin auf, einen Termin beim betriebsärztlichen Dienst wahrzunehmen. Dieser fand statt, erbrachte jedoch kein Ergebnis. Als die Klägerin kurz darauf wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit der Arbeit fernblieb, forderte die Beklagte nach 5 Monaten erneut auf, sich gemäß § 3 IV TVöD-K beim betriebsärztlichen Dienst zu melden und aussagekräftige Befunde etc. mitzubringen, andernfalls müsse sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen. Nachdem die Klägerin trotz weiterer Aufforderungen ihrer Verpflichtung aus § 3 IV TVöD-K nicht nachkam und eine entsprechende ärztliche Bescheinigung nicht vorgelegt hat, hörte die Beklagte den Betriebsrat an und kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen. Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Wirksamkeit der Kündigung. Das ArbG gab der Klage statt, das LAG hob das Urteil nach Berufung der Beklagten auf und wies die Klage gegen die Kündigung wegen sozialer Rechtfertigung ab.

Entscheidung

Nach Auffassung des LAG war die Klägerin verpflichtet, sich vom betriebsärztlichen Dienst ihre Arbeitsunfähigkeit bescheinigen zu lassen. Der Arbeitgeberin sei durch § 3 IV 1 TVöD-K das Recht zugestanden, überprüfen zu lassen, ob die Klägerin gesundheitlich in der Lage ist, ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen. Das LAG sah es im Gegensatz zum ArbG als erwiesen an, dass die Klägerin innerhalb der gesetzten Frist nicht durch Vorlage der ärztlichen Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie ihre arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit verrichten kann, obwohl die Voraussetzungen des § 3 IV 1 TVöD-K vorlagen. Damit habe sie vorsätzlich und rechtswidrig eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt, sodass die durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingte Kündigung nach § 1 II 1 KSchG sozial gerechtfertigt sei (s. a. BAG, BeckRS 2018, 13033). Zwar scheide eine Kündigung aus, wenn schon mildere Mittel wie eine Abmahnung geeignet wären, eine zukünftige Vertragstreue des Arbeitnehmers zu bewirken, allerdings nur dann, wenn nicht vor Ausspruch der Kündigung bereits erkennbar sei, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten nicht ändern werde. Das sei bei der Klägerin der Fall, einer vorherigen Abmahnung bedurfte es daher ausnahmsweise nicht. Die Klägerin sei bereits im Vorfeld mehrfach durch die Beklagte darauf hingewiesen worden, dass sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen müsse, falls sie den betriebsärztlichen Termin nicht wahrnehme und die geforderte Bescheinigung nicht vorlege. Dennoch habe die Klägerin die Untersuchung verzögert und im Termin bei der Untersuchung nicht mitgewirkt, sodass die Ärztin nicht in der Lage war, die Bescheinigung nach § 3 IV 1 TVöD-K auszustellen. Im Folgenden habe sie dann auch noch versucht, gegenüber der Arbeitgeberin vorzutäuschen, dass sie der korrekten Erfüllung ihrer Verpflichtung nachgekommen sei. Aufgrund der Schwere des Pflichtenverstoßes in Bezug auf die Mitwirkungspflichten und der gegebenen Umstände fiel auch die Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin aus.

Praxishinweis

Wie das LAG in seiner Entscheidung betont, war vorliegend die Kündigung ausnahmsweise auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt. Dies lag vor allem in der in dem sehr umfangreichen Sachverhalt dargestellten langfristigen Verweigerung der Klägerin, an der Erstellung der Bescheinigung nach § 3 IV TVöD-K mitzuwirken und den damit im Vorfeld der Kündigung erteilten vielfältigen Hinweise der Arbeitgeberin, dass sie arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreifen werde. Insofern liegt ein etwas unüblicher Sachverhalt vor, der die wohl geltende Rechtsprechung zur Erforderlichkeit einer Abmahnung nicht in Frage stellt. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird im Regelfall eine Kündigung nur in Betracht kommen, wenn dem Arbeitnehmer zuvor die Pflichtwidrigkeit seiner Weigerung durch eine Abmahnung mit entsprechender Kündigungsandrohung klargemacht wird (BAG, NZA 1998, 326).

 

Quelle: (ArbRAktuell 2023, 320, beck-online)