LAG Thüringen, Beschluss vom 24.10.2023 – 1 TaBV 25/21

I. Amtliche Leitsätze

1. Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung kann durch die i. Ü. ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrates in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig i. S. d. § 33 II BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen.

2. Nicht erforderlich ist, dass an dieser Sitzung alle Betriebsratsmitglieder teilnehmen oder über die Ergänzung der Tagesordnung getrennt abgestimmt wird. Vielmehr ist es ausreichend, dass niemand der Beschlussfassung über den neuen Tagesordnungspunkt widerspricht

II. Sachverhalt

Str. ist im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens die Eingruppierung einer Assistenz des Betriebsrates. Der Betriebsrat hatte der Einstellung zugestimmt, der vorgesehenen Eingruppierung jedoch widersprochen. Das ArbG hatte festgestellt, dass die Zustimmung des Betriebsrates zur Eingruppierung als erteilt gelte.

III. Entscheidung

Das LAG hat die Entscheidung des ArbG abgeändert und die Zustimmung des Betriebsrates zur Eingruppierung ersetzt. Die Zustimmung zur Eingruppierung gelte nicht als erteilt, da der zugrundeliegende Beschluss des Betriebsrates entgegen der Auffassung des ArbG wirksam gewesen sei. Der Betriebsrat habe die Zustimmung zur Einstellung und den Widerspruch gegen die Eingruppierung ausweislich des Protokolls seiner Sitzung einstimmig beschlossen. Der Sitzungsniederschrift nach § 34 BetrVG komme dabei ein hoher Beweiswert zu. Werde aus ihr die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats ersichtlich, bedürfe es i. d. R. keiner weitergehenden tatsächlichen Darlegung oder einer darauf gerichteten einer Beweisaufnahme. Vielmehr müsse der Arbeitgeber den Beweiswert der Niederschrift erschüttern oder den Gegenbeweis antreten. Eine getrennte Abstimmung über die Frage der Einstellung auf der einen sowie über die damit zusammenhängende Eingruppierung auf der anderen Seite sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für einen formwirksamen Beschluss. Im Gegenteil sehe § 33 BetrVG – über die gesetzlich geregelten Voraussetzungen wie etwa die Beschlussfähigkeit hinaus – keine besonderen Verfahrensvoraussetzungen für die Beschlussfassung des Betriebsrats vor. Liege wie vorliegend ein einheitliches Anhörungsschreiben des Arbeitgebers zu Einstellung und (Erst-)Eingruppierung vor, sei es nicht fernliegend, beide Fragen gemeinsam aufzurufen. Solange sich feststellen lasse, dass tatsächlich über beide Punkte entschieden wurde, sei gegen eine einheitliche Abstimmung nichts einzuwenden. Seien wie vorliegend die Abstimmungsergebnisse einstimmig, spräche auch nichts dagegen, das Abstimmungsergebnis zu beiden Punkten zusammengefasst in der Niederschrift zu dokumentieren.

Der Betriebsrat sei beschlussfähig i. S. v. § 33 II BetrVG gewesen, da von seinen elf Mitgliedern neun Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder in der Sitzung zugegen waren. Zu Recht sei für ein „wegen Nachtschicht“ fehlendes Mitglied kein Ersatzmitglied geladen worden. Zwar sei gem. § 29 II 6 BetrVG bei Verhinderung eines Mitglieds das entsprechende Ersatzmitglied zu laden und andernfalls der Betriebsrat ungeachtet seiner Beschlussfähigkeit an einer wirksamen Beschlussfassung gehindert. Allerdings sei ein Ersatzmitglied nur dann zu laden, wenn eine Verhinderung i. S. v. § 25 I 2 BetrVG vorliege. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, da die Einteilung zur Nachtschicht nicht an der Sitzungsteilnahme hindere. Gleiches gelte im Hinblick auf ein anderes „wegen Home-Office“ verhindertes Betriebsratsmitglied.

Der Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses stünde auch nicht entgegen, dass der Ladung zur Betriebsratssitzung keine Tagesordnung beigefügt gewesen war. Eine mangels Übermittlung der Tagesordnung verfahrensfehlerhafte Ladung zu einer Betriebsratssitzung könne durch die i. Ü. ordnungsgemäß geladenen Mitglieder und Ersatzmitglieder des Betriebsrates in der Betriebsratssitzung geheilt werden, wenn der Betriebsrat beschlussfähig i. S. v. § 33 II BetrVG ist und die Anwesenden einstimmig beschließen, über einen Regelungsgegenstand zu beraten und abzustimmen. Es sei weder erforderlich, dass an der Sitzung alle Betriebsratsmitglieder teilnehmen noch, dass über die Ergänzung der Tagesordnung getrennt abgestimmt wird. Ausreichend sei vielmehr, dass niemand der Beschlussfassung über den neuen Tagesordnungspunkt widerspricht. So lägen die Dinge vorliegend

 

Quelle: ArbRAktuell 2024, 23, beck-online