LAG Nürnberg, Beschluss vom 17.7.2023 – 4 TaBV 10/23

Einem Antrag auf gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle gem. § 100 ArbGG fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn zuvor nicht der nach § 74 I 2 BetrVG vorgesehene Versuch einer Einigung mit Vorschlägen zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit unternommen wurde. Ein hinreichender Versuch einer Einigung bedingt – zumindest grob umrissen – eine inhaltliche Konkretisierung, zu welchem Regelungsgegenstand welche Regelung gewünscht wird. (amtl. Leitsatz)

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle. Die Einigungsstelle soll ein Verfahren zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen zu den Themen psychische Belastungen und Raumklima schaffen. Der Betriebsrat hatte beschlossen, diesbzgl. von seinem Initiativrecht Gebrauch zu machen und den Arbeitgeber unter Hinzuziehung von Sachverständigen zu Verhandlungen aufgefordert. Nachdem eine Einigung über die Erforderlichkeit der Hinzuziehung externen Sachverstandes nicht erreicht wurde, erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert und beantragte in der Folge die Einsetzung der Einigungsstelle vor dem Arbeitsgericht.

Das ArbG gab dem Antrag statt. Der Betriebsrat habe einen ernsthaften Verhandlungsversuch unternommen. Da der Betriebsrat nur unter Hinzuziehung von Sachverständigen verhandeln wolle und der Arbeitgeber dieses ablehne, seien die innerbetrieblichen Verhandlungen als gescheitert anzusehen.

Entscheidung

Dem stimmt das LAG Nürnberg nicht zu und hält die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den erstinstanzlichen Beschluss für begründet.

Dem Antrag des Betriebsrats fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Mangels eigener inhaltlicher Positionierung zur Frage, zu welchem Regelungsgegenstand er welche Regelungen erreichen wolle, habe der Betriebsrat keinen ernstlichen Versuch von Verhandlungen unternommen. Allein die Meinungsverschiedenheiten über das weitere Verfahren und insbesondere, ob für den Betriebsrat die Hinzuziehung externen Sachverstands erforderlich ist, begründen kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 100 ArbGG. Ist eine inhaltliche Positionierung aufgrund fehlenden Sachverstands tatsächlich nicht möglich, stehe dem Betriebsrat die gerichtliche Durchsetzung seines Anspruchs nach § 80 III BetrVG auf Hinzuziehung externen Sachverstands offen.

Das LAG folgt ausdrücklich den Ausführungen des LAG Düsseldorf (ArbRAktuell 2019, 474), wonach die antragsstellende Partei ernsthaft versucht haben muss, in Verhandlungen mit der Gegenseite einzutreten. Dazu gehöre es, eigene Vorstellungen zum Regelungsthema zu formulieren. Das folge aus den gesetzlichen Vorgaben in den §§ 2 I, 74 I 2 BetrVG.

Praxishinweis

Die Argumentation des LAG Nürnberg ist grundsätzlich nachvollziehbar. Wichtig ist, dass für den Fall von aufgenommenen Verhandlungen nur noch eine Rechtsmissbrauchskontrolle stattfindet, wenn die Verhandlungen wegen Aussichtslosigkeit danach abgebrochen werden. Damit ist gewährleistet, dass die Anforderungen der Rechtsprechung an das Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Verzögerung einer Einigungsstelle missbraucht werden.

Für Betriebsräte ist in der Praxis zu beachten, dass diese nicht allein pauschal die Verhandlungen über einen Mitbestimmungstatbestand unter Hinzuziehung eines Sachverständigen verlangen können. Vielmehr müssen sie sich bzgl. des Regelungsgegenstands und möglichen Regelungen positionieren. Zu hohe Anforderungen dürfen hierbei aber nicht gestellt werden. Sollte eine Positionierung ohne externen Sachverstand nicht möglich sein, muss ein entsprechender Anspruch aus § 80 III BetrVG im Beschlussverfahren durchgesetzt werden. Danach kann mit dem Sachverständigen eine eigene Verhandlungsposition erarbeitet und bei Scheitern der folgenden Verhandlungen die Einsetzung einer Einigungsstelle beantragt werden.

 

(ArbRAktuell 2023, 504, beck-online)
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