Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Corona-Infektion einen Arbeitsunfall darstellt. Der Kläger,
der in einem großen Betrieb der Kfz-Industrie als Montierer beschäftigt war, erkrankte laut einem
PCR-Test am 8.3.2021 an COVID-19 und litt daraufhin an Long-COVID. Im Betrieb waren zur Zeit
seiner Erkrankung zahlreiche Kollegen an Corona erkrankt. Der Kläger meint, sich bei seinem
Kollegen angesteckt zu haben, dessen Frau schon zuvor – am 5.3.2021 – infiziert war. Der
Kollege entwickelte erste Symptome am selben Tag wie der Arbeitnehmer und erhielt auch das
positive PCR-Test-Ergebnis am selben Tag.
Der Kläger begehrte die Anerkennung als Arbeitsunfall, was die Berufsgenossenschaft ablehnte,
da nicht nachgewiesen sei, dass er sich während der Arbeitszeit infiziert habe. Das Sozialgericht
Karlsruhe wies die Klage ab (SG Karlsruhe BeckRS 2023, 14956).
Entscheidung
Das LSG stellt fest, dass auch eine virale oder bakterielle Infektion ein Unfall i. S. d. § 8 SGB VII
sein kann (bakterielle Infektion: BSG BeckRS 2019, 24209; LSG Hessen BeckRS 2021, 7601).
Unfälle sind von außen einwirkende, körperlich schädigende und zeitlich begrenzte Ereignisse. Das
Eindringen eines Bakteriums bzw. Virus in den Körper ist daher grundsätzlich ein Unfall. Etwas
anderes gilt auch nicht deswegen, weil es im Rahmen des weltweiten Pandemiegeschehenes zu
massenhaften Infektionen mit COVID-19 gekommen ist. Das zusätzliche Risiko, eine Infektion am
Arbeitsplatz zu erleiden, ist auch im Rahmen einer weltweiten Pandemie durch die gesetzliche
Unfallversicherung geschützt (SG Konstanz BeckRS 2022, 23878).
Voraussetzung für einen Arbeitsunfall ist, dass die Ansteckung innerhalb der Arbeitsschicht
nachweislich stattgefunden hat. Die Beweislast hierfür trifft den Arbeitnehmer, und die
Anforderungen sind hoch. Arbeitnehmer müssen zwar keinen konkreten Ansteckungstag
benennen können, sie müssen aber den Vollbeweis mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit erbringen, dass sie sich während der Ausübung ihrer betrieblichen Tätigkeit
angesteckt haben (BSG BeckRS 2016, 116935, st. Rspr.). Das Gericht muss hiervon überzeugt
sein. Die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung reichen nicht aus. Eine
versicherte Tätigkeit ist deshalb zu verneinen, wenn auch andere Infektionswege außerhalb der
Arbeit ernsthaft in Betracht kommen. Die Beweislast für das Vorliegen der den Arbeitsunfall
begründenden Umstände als anspruchsbegründende Tatsachen trägt der Versicherte. Im
konkreten Fall bestehende Beweisschwierigkeiten sind im Rahmen der freien richterlichen
Beweiswürdigung (§ 128 I SGG) durch das Gericht zu berücksichtigen (BSG BeckRS 2020,38711).
Unabdingbare Mindest- und Ausgangsvoraussetzung für ein feststellbares, konkretes
„Unfallereignisses“ im Sinne eines Arbeitsunfalls durch eine virale Infektion ist nach dem LSG,
dass der Betroffene im Rahmen einer versicherten Verrichtung im engen zeitlichen
Zusammenhang mit der Infektion persönlichen Kontakt mit einer nachweisbar zeitlich vor dem
Betroffenen infizierten Person (Indexperson) hatte (SG Speyer BeckRS 2024, 2713).
Vorliegend scheiterte der Kläger an den strengen Beweisanforderungen. Er konnte das Gericht
nicht davon überzeugen, sich auf der Arbeit infiziert zu haben, da eine benannte Indexperson
zeitgleich (8.3.2021) mit ihm erkrankt war, nicht aber zuvor, eine andere erst später. Ist der
Kontakt sicher nachgewiesen, muss der Arbeitnehmer außerdem darlegen, dass dieser Kontakt
auch zur eigenen Infektion geführt hat. Hierfür genügt aber die hinreichende Wahrscheinlichkeit.
Das LSG vermochte außerberufliche Konkurrenzursachen (familiäre Kontakte, Einkaufen,
Arztbesuche, Aufenthalt in öffentlichen Verkehrsmitteln, in betrieblicher, unversicherter Kantine)
nicht als untypisch auszuschließen. Bei einem Pandemiegeschehen mit vielen Infektionen greift
auch der Beweis des ersten Anscheins nicht (SG Konstanz BeckRS 2022, 23878).
Praxishinweis
Die Entscheidung zeigt, wie hoch die Anforderungen an die Darlegungs-/Beweislast für die
Anerkennung einer Corona-Infektion als Arbeitsunfall sind. Ähnlich schwierig ist der Nachweis
eines Impfschadens: Eine Thrombose im Unterschenkel zwei Wochen nach einer Corona-Impfung
mit einem mRNA-Impfstoff wurde nicht als Impfschaden anerkannt, da der Zusammenhang
zwischen der Impfung und der Thrombose nicht nachgewiesen sei und das Fehlen konkurrierender
Ursachen allein nicht ausreiche (LSG Bayern BeckRS 2024, 9902).