Wird die Wahlvorschlagsliste im vereinfachten einstufigen Wahlverfahren des Betriebsrats vor Ablauf der gesetzlichen Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen bekannt gegeben, begründet dies noch nicht die Anfechtbarkeit der Wahl. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 27.11.2024 klargestellt.
Das war der Fall
Der am 16.05.2022 gewählte Betriebsrat eines Gemeinschaftsbetriebs hatte am 24.03.2022 ein Wahlausschreiben beschlossen, nach welchem Einwände gegen die Wählerliste bis zu drei Tage nach Aushang zu erheben seien. Als Stichtag wurde jedoch der 25.04.2022 genannt. Als Ende zur Einreichung von Wahlvorschlägen wurde der 06.05.2022 festgelegt.
Am 06.05.2022 sammelte der ehemalige Betriebsratsvorsitzende, der selbst Wahlvorstandsmitglied und Wahlbewerber war, ab 10:00 Uhr sechzehn Stützunterschriften für die Wahlvorschlagsliste mit acht Wahlbewerbern. Zwischen 14:30 Uhr und 15:00 Uhr wurde der Wahlvorschlag als gültig anerkannt und bekannt gegeben. Gegen 16:50 Uhr nahm der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH die Liste zeitweise ab.
Am 16.05.2022 fand die Wahlversammlung zwischen 05:30 und 15:00 Uhr mit einer Unterbrechung von 06:45 bis 13:15 Uhr statt. Am 20.05.2022 erfolgte die öffentliche Stimmauszählung. Die Namen der gewählten Betriebsratsmitglieder wurden am 30.05.2022 bekannt gegeben.
Die Arbeitgeberinnen fochten die Wahl wegen der vorzeitigen Bekanntgabe der Liste und fehlerhafter Angaben im Wahlausschreiben an. Zudem habe der ehemalige Betriebsratsvorsitzende unter Verstoß gegen die Neutralitätspflicht beim Sammeln der Stützunterschriften auf einen Arbeitnehmer eingewirkt. Auch hätte er die Stützunterschriften nur für sich selbst sammeln dürfen. Jeder Wahlwerber hätte jeweils mindestens zwei Stützunterschriften gebraucht.
Der Betriebsrat beantragte, den Antrag abzuweisen.
In den Vorinstanzen wurde dem Antrag der Arbeitgeberinnen stattgegeben und eine hiergegen gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.
Das sagt das Gericht
Das BAG hat entschieden, dass die Wahl nicht wegen eines Aushangs der Wahlvorschlagsliste vor Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist für Wahlvorschläge für unwirksam zu erklären sei.
Zwar könne gem. § 19 Abs. 1 und 2 BetrVG die Betriebsratswahl wegen eines Verstoßes gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts, Wahlverfahrens oder der Wählbarkeit angefochten werden – dies gilt jedoch nicht, wenn der Verstoß das Wahlergebnis nicht beeinflussen könne oder geändert habe.
§ 36 Abs. 5 S. 3 WO sieht vor, dass der Wahlvorstand die Liste nach Ablauf der gesetzlichen Mindestfrist in gleicher Weise wie das Wahlausschreiben bekanntzumachen habe. Maßgeblich für die Mindestfrist ist § 14a Abs. 3 S. 2 HS. 1 BetrVG, wonach Wahlvorschläge bis eine Woche vor der Wahlversammlung zu machen seien. Diese sog. Rückwärtsfrist ende gem. § 14a Abs. 3 S. 2 HS. 1 BetrVG und analog §§ 187, 188 Abs. 2 HS. 1 BGB am Montag, dem 09.05.2022 um 00:00 Uhr. Falle der Vortag (24:00 Uhr) wie hier auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag, sei der vorhergehende Werktag aufgrund des Rechtsgedankens des § 193 BGB und wahlverfahrensrechtlicher Erwägungen maßgeblich, hier demnach Freitag, der 06.05.2022 24:00 Uhr.
Dass der Wahlvorschlag bereits am Nachmittag des 06.05.2022 bekanntgemacht wurde, sei jedoch kein Anfechtungsgrund. Das BAG begründete, dass der Wortlaut aus § 36 Abs. 5 S. 3 WO i.V.m. § 14a Abs. 3 S. 2 HS. 1 BetrVG lediglich die Pflicht auferlege, den Wahlvorschlag nach Ablauf der Frist bekanntzumachen. Enthalten sei aber kein ausdrückliches Verbot dahingehend, dass der Wahlvorschlag bei Anerkennung seiner Gültigkeit nicht schon vor Fristablauf bekannt gemacht werden dürfe.
Daraus, dass § 10 Abs. 2 WO von »spätestens eine Woche vor Beginn der Stimmabgabe« als Bekanntmachungszeitpunkt spricht und § 36 Abs. 5 S. 3 WO einen solchen »Spätestens-Zeitpunkt« nicht enthält, könne kein Umkehrschluss auf ein Verbot der früheren Bekanntmachung geschlossen werden.
Gegen ein Verbot spräche ferner, dass das vereinfachte Wahlverfahren gerade die Errichtung von Betriebsräten in Kleinbetrieben erleichtern und das Wahlverfahren weniger aufwendig gestalten solle. Dies würde unterlaufen werden, wenn man annimmt, dass eine Veröffentlichung vor Fristablauf im vereinfachten Verfahren nicht möglich sein soll.
Auch die Möglichkeit, dass ein Wahlvorschlag im Nachhinein wegen Mehrfachunterstützung oder Unterschreitung der Mindestanzahl von Stützunterschriften ungültig werden könnte, führe nicht zu einem Verbot der Bekanntmachung vor Fristablauf. § 6 Abs. 5 und § 8 WO sähen ausreichende Korrekturmechanismen für eine nachträgliche Unwirksamkeit einer Stützunterschrift vor. Bei einem Mangel eines Vorschlags würde dieser nur mit Wirkung für die Zukunft - ex-nunc - ungültig.
Der Sinn und Zweck des § 36 Abs. 5 WO stehe einer früheren Bekanntmachung auch nicht entgegen. Dieser bestehe darin, dass der Wähler neutral, rechtzeitig und umfassend spätestens eine Woche vor der Wahlversammlung über die Kandidaten informiert sei. Dies sei bei früherer Bekanntmachung erst recht der Fall. Ebenfalls unzureichend für die Ungültigkeit der Wahl sei eine mögliche abschreckende Wirkung auf Personen, die sich selbst zur Wahl stellen wollen, dadurch, dass die Wahlvorschlagsliste bereits bekannt gegeben wurde. Insbesondere sähen sich einige ggf. erst hierdurch zu einer eigenen Kandidatur veranlasst. Dass ein nach Bekanntmachung eingereichter Wahlvorschlag dann nicht genauso lange aushängen würde, sei unerheblich, da § 36 Abs. 5 WO nur sicherstellen solle, dass die Vorschläge eine Woche aushängen.
Das vorübergehende Abnehmen der Liste durch den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH führe ebenfalls nicht zur Unwirksamkeit.
Wie vom LAG bereits erkannt, genügten auch die sechzehn Stützunterschriften für die acht Bewerber, da eine Zuordnung von mindestens zwei Stützunterschriften pro Bewerber nicht erforderlich sei. Unter Wahlvorschlag i.S.d. § 14 Abs. 4 S. 2 BetrVG sei die Benennung einer oder mehrerer Personen zu verstehen, der Begriff beziehe sich nicht auf jeden einzelnen Wahlbewerber. D.h. das Mindestquorum an Unterschriften beziehe sich auf die Wahlvorschläge, nicht auf die Wahlbewerber. Hierfür spräche auch der Verweis des § 36 Abs. 5 S. 2 WO auf § 6 Abs. 4 WO zur Bezeichnung eines Listenvertreters, denn dieser wäre überflüssig, wenn als Walvorschlag jeder einzelne Wahlbewerber gelten würde.
Sollte der vormalige Betriebsvorsitzende beim Sammeln der Stützunterschriften gegen die Neutralitätspflicht verstoßen und auf einen Arbeitnehmer eingewirkt haben, wäre dies nicht geeignet gewesen, dass Wahlergebnis zu beeinflussen. Als der wahlberechtigte Arbeitnehmer die Unterschrift leistete, habe es bereits genügend Stützunterschriften gegeben.
Auch das im Wahlausschreiben unzutreffend angegebene Datum für den Fristablauf der Einlegung eines Einwands gegen die Wählerliste habe sich nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt.
Die längere Unterbrechung der Wahlversammlung verstoße nicht gegen wesentliche Wahlverfahrensvorschriften, sie diene dazu, dass sowohl die Früh- als auch die Spätschicht die Möglichkeit haben, an der Wahl teilzunehmen. Sie entspricht den §§ 14a, 44 BetrVG, die eine Versammlung während der Arbeitszeit vorsehen, wenn die Eigenart des Betriebs nicht eine andere Regelung zwingend erfordert, was hier wegen des Drei-Schicht-Systems der Fall gewesen sei.
Hinsichtlich weiterer möglicher Gründe für eine Ungültigkeit der Wahl verwies das BAG die Sache zurück ans Landgericht, da es nicht abschließend über die Kausalität der folgenden Fehler für das Wahlergebnis entscheiden konnte:
Die Frist der nachträglichen schriftlichen Stimmabgabe wurde auf den Tag der Wahlversammlung gelegt und sei somit unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeit und der betrieblichen Verhältnisse zu kurz bemessen, in Anbetracht dessen, dass ein Antrag auf schriftliche Stimmabgabe noch drei Tage vor der Wahlversammlung gestellt werden kann. Eine Frist für die nachträgliche Stimmabgabe sei frühestens drei Tage nach der Wahlversammlung anzusetzen. Die nachträgliche schriftliche Stimmabgabe dürfe nicht faktisch unmöglich sein, die zu kurze Frist stelle einen Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens dar.
Zudem sei die Stimmauszählung gem. § 36 Abs. 4 i.V.m. § 35 Abs. 3 WO unmittelbar nach Ablauf der Frist für die nachträgliche Stimmabgabe vorzunehmen, hier erfolgte sie aber erst am 20.05.2022 um 12:00 Uhr.
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Quelle
BAG (27.11.2024)
Aktenzeichen 7 ABR 32/23