I.             Sachverhalt

Die Parteien streiten über eine Annahmeverzugsvergütung. Die beklagte Arbeitgeberin produziert Lebensmittel. Der Kläger ist bei ihr als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt. Eine Mitarbeiterinformation und ein Hygienekonzept zum betrieblichen Infektionsschutz ordneten für Rückkehrer aus Risikogebieten ein 14-tägiges Betretungsverbot für den Betrieb an. Die Elfte Verordnung zur Änderung der SARS-CoV-2 Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin sah eine häusliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende vor, ebenso Ausnahmen hiervon. Während seines Urlaubs im August 2020 reiste der Kläger in die Türkei, die seinerzeit vom RKI als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor der Ausreise aus der Türkei unterzog sich der Kläger einem Corona-PCR-Test. Der Befund dieses Tests war negativ. Ein weiterer Test nach Ankunft in Deutschland wies ebenso einen negativen Befund auf. Zugleich attestierte der Arzt des Klägers diesem Symptomfreiheit. Bei Wiederantritt der Arbeit nach seinem Urlaub erklärte der Kläger, er sei vor wenigen Tagen aus einem Risikogebiet zurückgekehrt. Er wurde daraufhin am Werkstor abgewiesen. Seinen Arbeitsplatz durfte er nicht aufsuchen. Mit einem Schreiben vom selben Tag wies der Kläger auf seine negativen Corona-Testergebnisse hin. Zugleich bot er seine Arbeitskraft an. Die Beklagte teilte dem Kläger unter Verweis auf das Infektionsrisiko mit, er habe der Arbeit ohne Anspruch auf Vergütung fernzubleiben.

Der Kläger erhob eine Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das ArbG hat der Zahlungsklage stattgegeben, das LAG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

II.           Entscheidung

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger kann für den maßgeblichen Zeitraum im August 2020 eine Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangen. Nach Ansicht des BAG war der Kläger nicht nur leistungswillig, sondern zugleich leistungsfähig. Annahmeverzug trete auch in solchen Fällen ein, in denen der Arbeitgeber die tatsächliche oder rechtliche Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers selbst herbeigeführt habe. Die Vorschrift des § BGB § 615 Satz 1 BGB solle immer, aber auch nur dann, eingreifen, wenn die Ursache für die Nichterbringung der Arbeitsleistung beim Arbeitgeber liege und dieser die ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung des Arbeitnehmers nicht annehmen wolle oder könne. Der Kläger sei in tatsächlicher Hinsicht imstande und rechtlich in der Lage gewesen, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Eine bundesgesetzliche Vorgabe oder eine bundesweite geltende Verordnung zur Einhaltung einer Quarantäne habe nicht bestanden. Zudem lägen die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Quarantänepflicht aus der Verordnung des Landes Berlin vor. Das vorübergehende Betretungsverbot führe nicht zu einem Unvermögen zur Erbringung der Arbeitsleistung, da die Beklagte hierdurch selbst die Ursache dafür gesetzt habe, dass der Kläger nicht an seinen Arbeitsplatz im Betrieb gelangen konnte. Selbst die von der Beklagten angeführten arbeitsschutzrechtlichen Gründe für das betriebliche Betretungsverbot könnten die Vergütungsfortzahlungspflicht nicht ausschließen, da es hierauf für Ansprüche aus § BGB § 615 Satz 1 BGB i. V. m. § BGB § 611 a BGB § 611A Absatz II BGB grundsätzlich nicht ankomme.

Schließlich führt das BAG aus: Die Annahme der Arbeitsleistung sei der Beklagten nicht ausnahmsweise unzumutbar gewesen. Die Anordnung eines 14-tägigen Betretungsverbots bei gleichzeitigem Verlust des Anspruchs auf Vergütung sei unverhältnismäßig und daher unbillig i. S. v. § GEWO § 106 Satz 2 GewO i. V. m. Satz 1 GewO gewesen, da der Beklagten zur Erreichung eines erforderlichen und angemessenen Gesundheitsschutzes im Betrieb mildere Mittel, wie etwa die Pflicht zur Vorlage eines weiteren aktuellen negativen PCR-Tests, zur Verfügung gestanden hätten.

III.          Praxishinweis

Streitigkeiten aus Annahmeverzug rücken in jüngster Zeit in der Praxis wieder vermehrt in den Fokus, nicht nur in Bezug auf „Corona-Fälle“, sondern vor allem im Zusammenhang mit Kündigungsschutzprozessen

 

Quelle: ArbRAktuell 2022, 539, beck-online