I. Amtlicher Leitsatz

Im Hinblick auf die gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung kann der Betriebsrat durch seine Initiative eine Regelung darüber erzwingen, wie die Arbeitszeiten erfasst werden.

II. Sachverhalt

Der Betriebsrat verlangte von der Arbeitgeberin, Verhandlungen über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung der im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter im Außendienst aufzunehmen, da lediglich für den Innendienst Konzernbetriebsvereinbarungen über die Arbeitszeit und deren Erfassung in SAP bestanden. Die Arbeitgeberin lehnte Gespräche mit dem Hinweis darauf ab, dass sie sich grundsätzlich für ein System der elektronischen Arbeitszeiterfassung entschieden habe, für dessen Regelung wie beim Innendienst der Konzernbetriebsrat zuständig ist. Im Hinblick auf die anstehende gesetzliche Regelung nach dem BMAS Entwurf und die geplante Tariföffnung wolle sie derzeit jedoch nichts tun und hoffe darauf, dass der Außendienst letztlich nicht unter die Aufzeichnungspflicht fallen werde.

Das ArbG München setzte auf Antrag des Betriebsrats eine Einigungsstelle ein und wies darauf hin, dass diese i. S. d. Rechtsprechung des BAG (ArbRAktuell 2023, ARBRAKTUELL Jahr 2023 Seite 18) nicht offensichtlich unzuständig sei, weil es nach dem Wunsch des Betriebsrats nicht um das „Ob“ der Zeiterfassung gehe, zu der eine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers nach § ARBSCHG § 3 ARBSCHG § 3 Absatz II Nr. ARBSCHG § 3 Absatz 2 Nummer 1 ArbSchG bestehe und daher kein Spielraum für Mitbestimmung vorhanden sei, sondern allein um das Wie der Zeiterfassung.

III. Entscheidung

Die Beschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Der Arbeitgeber kann sich gegenüber dem Initiativrecht des Betriebsrats nicht darauf berufen, noch nicht entschieden zu sein, ob er sich rechtmäßig verhalten und der Pflicht zum Handeln nachkommen möchte. Ebenso wenig kann er seinerseits eine Vorentscheidung über die Art der Zeiterfassung treffen, die ihrerseits dann ggf. die Mitbestimmung des Konzernbetriebsrats erfordert. Gerade die Entscheidung über die beste Art der Zeiterfassung ist Gegenstand der Mitbestimmung des regelmäßig örtlichen Betriebsrats.

IV. Praxishinweis

Die Entscheidung des EuGH (ArbRAktuell 2019, ARBRAKTUELL Jahr 2019 Seite 277) hatte die nationalen Mitgliedsstaaten verpflichtet, für eine Zeiterfassung zu sorgen. Nach jahrelanger Untätigkeit des deutschen Gesetzgebers hatte das BAG entschieden, dass zwar der Betriebsrat kein Initiativrecht auf Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystem habe, weil eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers nach § ARBSCHG § 3 ARBSCHG § 3 Absatz II Nr. ARBSCHG § 3 Absatz 2 Nummer 1 ArbSchG bereits besteht, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § BETRVG § 87 BETRVG § 87 Absatz I 1 BetrVG sperrt (BAG, ArbRAktuell 2023, ARBRAKTUELL Jahr 2023 Seite 18). Das „Ob“ der Pflicht zur Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems ist damit mitbestimmungsfreie Arbeitgeberpflicht unabhängig von Betriebsgröße, Branche, Bestehen eines Betriebsrats und dessen Forderungen.

Das BAG gibt dem Arbeitgeber nicht vor, dass die Zeiterfassung technisch oder elektronisch zu erfolgen hat. Möglich wäre also eine mitbestimmungsfreie händische Aufzeichnung auf Papier (z. B. Stundenzettel, s. LAG Berlin-Brandenburg, ArbRAktuell 2017, ARBRAKTUELL Jahr 2017 Seite 553) und Aufbewahrung nach § ARBZG § 16 ArbZG. Es wird weiterhin möglich sein, dass Unternehmen die Dokumentation der Arbeitszeiten auf die Arbeitnehmer delegieren (ErfK/Roloff, ArbZG, § 16 Rz. 4), wobei hier regelmäßige Plausibilitätskontrollen erforderlich sein dürften.

Die Ausgestaltung – das „Wie“ – ist dagegen mitbestimmungspflichtig nach § BETRVG § 87 BETRVG § 87 Absatz I Nrn. BETRVG § 87 Absatz 1 Nummer 6, BETRVG § 87 Absatz 1 Nummer 7 BetrVG, d. h. es wird z. B. einer Betriebsvereinbarung über ein elektronisches System bedürfen, dass eine Kontrolle der Arbeitszeit an sich technisch ermöglicht, wofür bereits Excel Listen genügen (BAG, BeckRS 2018, BECKRS Jahr 27856). Entsprechend hatte sich auch schon die BAG Präsidentin eindeutig geäußert.

Der erste Referentenentwurf des BMAS aus dem April 2023 sieht in § 16 II ArbZG-E eine verankerte Pflicht für Arbeitgeber vor, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen (vgl. Fuhlrott/Herzig, ArbRAktuell 2023, ARBRAKTUELL Jahr 2023 Seite 221). Es bleibt abzuwarten, welche Inhalte das Gesetz letztlich haben wird.

 

Quelle: ArbRAktuell 2023, 395, beck-online